Una mattina mi son svegliato,
Bella Ciao
e ho trovato l’invasor.
Die Arbeit auf Schiffen ist anstrengend. Das ist sie heute noch, das war sie in einer Zeit, in der die Seeleute der Gunst von Wetter und Meer noch stärker ausgeliefert waren, noch mehr. Das Einholen der Segel, das Hochziehen des Ankers oder die Arbeit mit schweren Netzen erforderte konzentrierte Gemeinsamkeit und straffe Organisation der körperlichen Stärke, auf Handels- und Fischfangschiffen sang man deshalb, um den erforderlichen Rhythmus halten zu können. Der Ursprung der sanft gebrummten Shantys findet sich also in einem eher unromantischen Szenario wieder, denn um über Distanz und Windböen hinweg gehört zu werden, musste mehr ein Wechselgeschrei als ein Wechselgesang angestimmt werden.
For forty days, or even more
Wellerman, The Longest Johns
The line went slack, then tight once more
All boats were lost, there were only four
But still that whale did go
Im Frühjahr war es Bella Ciao, gerade bahnen sich Shantys den Weg durch das Internet und es würde mich nicht überraschen, würde in einigen Wochen Countryballaden über einsame Cowboys rührend per Zoom interpretiert und wild von der übrigen Community geteilt werden. Es sind Lieder, die vor Traurigkeit, körperlicher Anstrengung und Einsamkeit den Stolz und die Hoffnung ihrer Sänger*Innen klingen lassen. Es sind Melodien, die durchhalten.
1999 stürzte sich die Chor-AG der Grundschule Salzdahlum auf die wilde Interpretation von „Wir lagen vor Madagaskar“ und ich erinnere mich an meine große Faszination für diese riesigen Themen, die dort so eingängig besungen werden. Das Lied ist fern englischer Seemansromantik 1934 in Deutschland entstanden und beschreibt im Refrain, die Sehnsucht der Besatzung nach der Heimat, die jeder von ihnen gerne mal wieder sehen würde und den Gedanken an das Mädchen, dass zuhause so „heiß geküsst“ hat.
Nun ist 2021, wir sitzen seit 12 Monaten vor Netflix und müssen nicht auf den Wellerman warten, der und Zucker und Rum bringt, sondern wir gehen mit FFP2-Masken zu REWE und waschen uns danach die Hände. Es sind ausreichend viele Worte darüber verloren worden, weshalb uns das alle allmählich mürbe macht, die Ankündigung der nochmaligen Verschärfung der Maßnahmen, demoralisiert stark, nachdem das sogenannte normale Leben inzwischen seit Monaten bereits auf ein Minimum reduziert worden ist.
Soon may the Wellerman come
Wellerman, The Longest Johns
To bring us sugar and tea and rum
One day, when the tonguin‘ is done
We’ll take our leave and go
Wir warten auf unseren Vaccination-Wellerman und halten an der wissenden Hoffnung fest: Er wird kommen. Alles wird wieder normal, auch wenn es vielleicht eine Weile dauern wird, bis wir das alles wieder „gut“ nennen können in Anbetracht der Weite, mit der Corona gerade um sich greift. Diese Hoffnung macht mich melancholisch, weil sie mir sehr konkret vor Augen führt, was mir gerade fehlt. Stille, weil ein jeder nach seiner Heimat sich sehnt, die er gerne einmal wiedersehen will.
Jede*r von uns ist gerade dieser Robinson Crusoe, der einsame Cowboy, der Matrose mit Heimweh, der sich bemühen muss, die Achtung vor dem eigenen Dasein nicht ab und an über Bord gehen zu lassen. Das ist anstrengend und wenn kitschige Matrosenmusik geteilt wird und das dabei hilft, wieder auf die Beine zu kommen, sich zu zerstreuen oder ein Selbstbild eines starken Menschen zu entwickeln, der diese miese Zeit auf ständig nassen Planken jetzt einfach rumkriegen muss, bis er sich im nächsten Hafen in aufregende Begegnungen körperlicher oder geistiger Natur stürzen kann, dann ist das doch immerhin etwas.
Ahoi.