Ich halte eigentlich nichts von der Annahme, dass der sog. „Kleine Mann“ von den Regierenden seit Jahr und Tag belogen und betrogen wird, dass Wahlversprechungen immer ausschließlich heiße Luft sind und auf Stadt-, Landes- und Staatsoberhäupter prinzipiell kein Verlass ist. Ich möchte daran glauben, dass das nicht der Fall ist und dieser Glauben wankt.
Gestern wurde laut, dass bei den Sondierungsverhandlungen zur Großen Koalition die Klimaziele 2020 gekippt worden sind. Es mag sein, dass diese ohnehin nie erreicht worden wären, in der Welt wird kommentiert, die Regierung mache sich deshalb mit dieser Entscheidung glaubwürdig. Darüber stolpere ich, denn ich empfinde diese Nachricht nicht als glaubwürdig. Wie lange ist denn klar, dass die Ziele sowieso verfehlt werden? Weshalb wurden sie trotzdem immer wieder als goldene Marke hochgehalten? Das Handelsblatt kommentiert hierzu passend:
„Welchen Schluss sollte man daraus ziehen? Politiker sollten vorsichtig damit sein, illusorische Langfristziele wie eine Monstranz vor sich herzutragen. Sie laufen Gefahr, von der Realität eingeholt zu werden. Ziele, deren Erreichung unwahrscheinlich ist und die nicht mit politischer Entschlossenheit einhergehen, sollte man sich gar nicht erst setzen. Anderenfalls wird aus dem Vorbild ein abschreckendes Beispiel.“
Ich fühle mich nicht glaubwürdig regiert, sondern geblendet. Ich bin auf die Informationen angewiesen, die mir Politiker zum Stand des Erreichens jeweils gesetzter Ziele mitteilen. Ich bin keine Wissenschaftlerin und habe weder Zeit noch Energie, die wissenschaftsjournalistischen Kommentare zum Stand des Klimas und der damit verbundenen Ziele zu vergleichen. Was heißt nun „Anfang der 2020er Jahre?“ und um was wird das Ziel verfehlt?
Dass das Ziel nicht erreicht werden könne, war Angela Merkel wahrscheinlich schon bei der Klimakonferenz in Bonn klar, auf dem sie sich zu keiner Aussage, die über „sehr ehrgeizig“ und „ein ganzes Stück entfernt“ nicht hinreißen ließ.
Ich verstehe, dass es wahrscheinlich schwieriger ist als „Ausstieg: jetzt.“. Aber nach dem Softwareupdatesposse 2017 denke ich, dass die Herzen der Entscheider mehr an Lobbies als an Idealen hängen. Mit dieser Idee stehe ich wahrscheinlich nicht allein. Sie macht mich wütend.
Nicht wegen des Geldes, das da von einer in die andere Tasche fließen mag, sondern wegen der ignoranten Unglaubwürdigkeit, der ich mich als Regierte ausgeliefert sehe: Am 24. September 2017 ist die Bundestagswahl gewesen. Im Regierungsprogramm der SPD steht: “ In Deutschland wollen wir bis 2020 den Ausstoß von CO2 im Vergleich zu 1990 um mindestens 40 Prozent senken.“, im Programm der CDU fällt das Wort „Klimaziel“ genau ein Mal („Wir halten an unseren bestehenden Energie- und Klimazielen fest und setzen sie Schritt für Schritt um.“), allerdings ohne 2020 in der Nähe. Ende Oktober bekannten sich die Jamaikasondierenden zu den Zielen für 2020. Und jetzt einigen sich die Partei in deren Programm die Ziele stehen mit der Partei, die sich zu den Zielen im Oktober bekannt hatte, noch bei Sondierungsgesprächen darauf, dass man sie besser fallen lassen solle?
Ich habe das Gefühl, dass da Menschen ohne Ideen versuchen, die Probleme der Gegenwart zu lösen, mit der sie sonst eigentlich ganz zufrieden sind. Ich fühle mich durch diese Gleichmut provoziert. Ich habe wenig Ahnung, welche Zukunft die Führenden des Landes vor Augen halten. Die SPD möchte „mehr Gerechtigkeit wagen“ – nachdem sie nach Jahren in der Regierungspartei dafür keinen Anlass gesehen hat? AfD-Wählende sollen von der Hakenpartei abgeworben werden, indem Positionen eben dieser Partei nahezu eins zu eins übernommen werden. Es geht um Machtstärkung einzelner Persönlichkeiten, nicht um Prävention und Bildung der BürgerInnen. Wochenlang wird über den Familiennachzug gesprochen, über wahrscheinlich nicht einmal 60.000 Menschen. Was für scheinheilige Debatten.
Ich bin nicht politikverdrossen. Aber das liegt mehr an mir als an den Sondierenden.