Einmal Panik

Diesen Text habe ich während einer Panikattacke geschrieben.

Ich sitze gerade im Büro. Vor etwa 45 Minuten habe ich ein paar Brote gegessen. Ich hatte heute Morgen keine Zeit, mir mein Frühstück zuhause zu machen, deshalb habe ich Brot und Aufschnitt kurzerhand in den Rucksack geräumt und mit zur Arbeit genommen. Ich habe nicht gut geschlafen. Nach einem anstrengenden Tag gestern bin ich ohnehin müde und nicht wirklich konzentriert. Ich habe keine Lust, heute zu arbeiten und freue mich darauf, später im Bett einen Film zu gucken, Chips zu essen und den Rest Cola zu trinken.

Seitdem ich mit diesem Text versuche, meine Angst aufzuschreiben, ist sie schon leichter geworden. Dieses vom Mundraum aus in Rachen und Hals drückende Globusgefühl ist erträglicher geworden, das scharfe Pfefferminzbonbon tut gut. Aus Richtung der sich immer wieder verkrampfenden Speiseröhre spüre ich einen latenten Druck auf Magen und Zwerchfell. Meine Beine sind überschlagen, im hinteren, oberen Bereich kribbelt es ein wenig. Ich wäge ab, ob es so schlimm ist, dass ich ins Treppenhaus gehen sollte. Ich ziehe mir meinen Wintermantel an, weil mir kalt ist. Es ist nicht kalt draußen. Oder ich bin einfach nur müde von den letzten beiden löchrigen Nächten.

Ich lasse den Blick schweifen und klicke währenddessen in einer Dokumentvorlage herum, um Arbeit zu simulieren. Die Kollegen sind konzentriert in ihr Tun vertieft, der Trubel, der hier eben noch tobte, hat sich gelegt. Ich schaue nach rechts durch eine Glasscheibe, hinter der der Besprechungsraum liegt. Eine Kollegin unterhält sich mit einem Bewerber, auf ihrer Stirn eine Spur von Konzentration. Ich lege den Kopf schief und wundere mich darüber, dass sie keine Angst hat. Nichts scheint mir in diesem Moment erstaunlicher als Menschen, die nicht in diesem Gedankenkarussell sitzen. In mir keimt Bewunderung, als vollbringe sie ein Kunststück, für das sie sehr lange üben musste. Eine komplizierte Abfolge von Bewegungen, an deren Kombination ich trotz heißer Bemühungen immer wieder scheitere.

Ich werde angesprochen und antworte ganz natürlich. Meine Stimme klingt normal, die Kollegin wirkt nicht so, als hätte sie eine Ahnung davon, dass die Panik mir mein Herz gerade in die Kehle treibt. Ich schlucke wiederholt trocken und werde mir darüber bewusst, dass sich meine Mundwinkel schon geraume Zeit angestrengt nach oben ziehen. Die Angst springt mir bei einer Panikattacke an den Hals, Schultern und Gesicht verkrampfen, ich fasse mir ständig an den Hals, versuche diese Bewegung aktuell auf das Schlüsselbein umzulenken. Unter den Ohrläppchen drückt es schmerzhaft auf die Kiefermuskulatur. In Kombination mit nervöser Übelkeit, starkem Herzschlag und einer sauer-angespannten Speiseröhre sorgen diese somatischen Beschwerden dafür, dass ich nicht dazu in der Lage bin, mich auf irgendetwas länger als ein paar Sekunden zu konzentrieren. Die Aufmerksamkeit rutscht immer wieder zurück in die Kehle.

Ich rekapituliere in einer wahnsinnigen Geschwindigkeit, was und wann ich heute gegessen habe. Wo und wann ich mich mit einem Infekt hätte anstecken können. Ich greife nach meinem Schlüssel, stecke ihn in meine Jackentasche und ignoriere den fragenden Blick meiner Kollegin. Ich schiele auf mein Handy und registriere den beruhigenden Gedanken der Fluchtmöglichkeit: Wenn es noch schlimmer wird, greife ich einfach zum Telefon und tue so, als würde ich angerufen. Meine Angst ist durchsetzt von der Furcht davor, dass jemand mitbekommen könnte, was gerade in mir vorgeht. Es soll keiner bemerken, auf gar keinen Fall.

Diesmal bleibe ich sitzen. Nachdem ich das hier aufgeschrieben habe, geht es mir besser. Mir ist auch nicht mehr kalt, die Jacke ist angenehm, aber auch umständlich, sie erhöht den Komfort nicht. Ich bin nun unfassbar müde. Würde ich mich zurücklehnen und die Augen schließen, würde ich sofort einschlafen.

Auf die Erleichterung darüber, dass es vorbei ist, folgt  das Gefühl, wieder gescheitert zu sein. Dann die Wut darauf, dass ich mich schäme. Den Abschluss bildet – wie immer – Hunger auf Mettbrötchen mit Zwiebeln und Maggi. Am Abend werde ich vergessen haben, dass ich heute eine Stunde lang nicht arbeiten konnte.