Die Schatten waren lang zu dieser Zeit und alles schmeckte säuerlich. Die Taschen der Leute waren schwer wie ihre Gedanken und jeder war allein mit der Hand, die ihn nicht los ließ. Jeder trug sein Herz in Klarsichtfolie verpackt in einem kleinen Sarg mit sich herum. Dort konnte es in Ruhe gegen das dünne Holz pochen und sich über die Dunkelheit wundern, die noch so neu war.
Die Rolltreppen fuhren schneller als sonst, denn die Füßen wollten schneller unter warme Decken, die Zehen mit fremden verhaken, festkrallen und den schalen Geruch der anderen Sohle aufsaugen um den eignen damit zu übertünchen. Laute Schuhe mit Kunstfellbesatz wühlten sich durch den Beton, traten gegen Häuserwände und Autoreifen, in der Hoffnung irgendwo eine Spur hinterlassen zu können.
Zu dieser Zeit wurde alles so dunkel, dass sich die dicken Silhouetten versteckten in dicker werdenden Daunendecken um nicht gefunden zu werden von denen, die bessere Augen als sie selbst hatten.
Die eingepackten Arme drückten den Sarg fest an den Körper, aus dem sie es eben erst genommen hatten und achteten darauf, dass es ihnen bloß nicht zu nahe kam. Dieses Organ war nämlich ein schleimiges, braunrotes etwas, das den frisch gereinigten Stoff, der alles Übrige zu schützen vermochte, nur schmutzig machen konnte. Da dieses Herz alle Nas’ lang aus der Brust sprang, um sich schlug und alles mit Blut bespritzte, was nicht zügig genug fliehen konnte, war es das Beste, es sicher zu verpacken und stabil zu verstauen.
Die Särge waren aus gleichmäßig gemasertem Holz, fein dekoriert und mit Steinchen verziert. Es gab an einer langen Seite einen Messinghenkel, an dem die leichte Holzkiste gut zu fassen und bequem zu transportieren war. So manche Ecke hatte schon eine Schramme, da gerade die Erwachsenen ihre Särge oft fröhlich nach vorne und hinten schwingen lassen und dem empfindlichen Material zügig Macken zufügten.
Ein Pärchen hielt sich im Arm, obwohl es schon vor längerer Zeit damit begonnen hatte, sich nicht mehr zu lieben. Mütter zogen an den wattierten Ärmeln ihrer Kinder, die schrieen und brüllten und noch Augen hatten für die Dinge, für die die Frau an ihrer Seite längst keine Zeit mehr hatte. Liebhaber waren wieder zu Männern geworden, die froh waren, wenn nicht mehr als gleichgültige Anwesenheit von Nöten war. Und all das in Mitten vieler raschelnder Plastiktüten und einem Geruch von Kotze und Zuckerwatte.
Ein Mädchen streichelte ein Pony, dass in der Gasse vor dem Schacht stand, in den die vielen Rolltreppen führten. Das Tier blähte die Nüstern, hob den rechten Huf und stampfte energisch damit auf. Das Kind ließ seinen Handschuh über das warme Fell gleiten, schüttelte danach den Staub aus dem Stoff und lief zurück zu seinem großen Bruder, der eben vom Schlachter zurückgekommen war.
Die Blumenverkäuferin an der Ecke erinnerte sich hinter ihrer Theke daran, dass sie sich gestern Abend allein gefühlt hatte, obwohl ein anderer Körper neben Ihrem gelegen hatte. Wenn die Eitelkeiten verschwinden, wenn trockenen Augen schal bedeckt werden, ist nichts mehr in uns, als Luft und ein paar Fetzen Abendbrot. Gedanken verwischen und alte Tränen füllen neue Becken. Kein Lob eines anderen, nur die Achtung vor dem eigenen Hirn, das Schattenspiele an der Schädelwand treibt mit dem Schimmer, der durch die geschlossenen Lider bricht.
Niemand da auf dieser Rolltreppe, in diesem Fahrstuhl, auf diesem Laufband, auf dem sich alles von allein bewegt und es keinen Willen mehr braucht, nur Drähte und Dummheit, die weben und verbinden ohne eine Pause zu brauchen.
Enttäuschung, Entdeckung, Enttarnung, Neugier, Mut und Wissen verschlossen in dem Sarg, der unter der Achsel steckt und das Leben leichter macht.