Prämissen

„Ich (Pause) nehme jetzt mal (Pause) Afghanistan. Ausgerechnet an meinem 69. Geburtstag (Pause) sind 69 (Pause), das war von mir nicht so bestellt, Personen nach Afghanistan zurückgeführt worden. (Pause) Das liegt weit über dem, was bisher üblich war.“

Ein kurzes Video wird heute tausendfach auf Twitter geteilt, in dem der Innenminister Deutschlands 24 Sekunden nutzt, um diese Sätze zu sagen. Über diesen Mann ist in den letzten Wochen viel gesprochen und geschrieben worden. Erst wurde sich gefreut, dann wurde sich erzürnt. Ein lächerliches Schauspiel von Eitelkeiten, nach dessen Genuss sich jeder wahlberechtigte Mensch dieses Landes für ziemlich dumm gehalten fühlen kann.

Ich möchte nicht mit unserem Innenminister sprechen. Ich möchte auch nicht über einzelne Vokabeln streiten, die tief braun getränkt das Leid tausender Menschen als freizeitliches Reisevergnügen verkleiden. Ich möchte nicht mit Rechten über die Schlüsse reden, die sie bereits gezogen haben. Das hat den einfachen Grund, dass ich ihre Prämissen nicht teile.

Jede Person hat eine bestimmte, ganz eigene Sicht auf die Welt und ihre Dinge. Meistens irgendwie biographisch begründet, bestimmte Ereignisse oder Begegnungen, die besonders einprägsam gewesen sind. In meinem Fall waren das meine Eltern, die Bands, die ich in meiner Jugend gehört habe und die Jahre, die ich im Theater gearbeitet habe. Beiträge, wie sie aus Richtung der sogenannten Rechten immer häufiger in die große Öffentlichkeit gespült haben, emotionalisieren mich extrem. Ich bin wütend, sorgenvoll und fühle mich hilflos.

Ich habe viel darüber nachgedacht, was genau mich derart aufwühlt und bin inzwischen bei besagten Prämissen angelangt. Da sind Menschen, die wichtige und mächtige Ämter in diesem Land bekleiden, die in Frage stellen, worauf meine Weltsicht fußt: Auf der würdevollen Gleichheit aller Menschen.

Ich gebe zu, dass das ziemlich geschwollen klingt. Aber ich finde keine kleineren Worte. Es geht um Werte, die in ihrer grundlegenden Funktion so tief verwurzelt sind, dass ich sie nicht mehr rational herleiten kann. Sie sind eher wie ein Gefühl, eine Form des Glaubens. Das hängt auch mit diesen riesigen Wörtern zusammen: Eine knappe Definition von Würde? Sicherlich eine komplizierte Sache. Aber Dinge sind kompliziert und sie werden mit inhumanen Aussagen und Beschlüssen nicht einfacher. Ich verstehe nicht, wie diese Sehnsucht nach einfachen Lösungswegen auf den höchsten Ebenen der Politik als guter Ratgeber in schlechten Zeiten anerkannt wird.

Noch vor diesen weitreichenden Beschlüssen steht aber der Angriff auf meine Sicht der Dinge und ich habe täglich das Gefühl, diese gegenüber Internettrolls, BILD-Schlagzeilen und Politikergewäsch verteidigen und erklären zu müssen. Ich hasse es, dass ich mit meinem Wunsch nach fairem Umgang der Menschen unter- und miteinander und dem Glauben an die grundsätzliche Möglichkeit für eben diesen, wie ein naives Kind fühlen soll, dem erst noch die Augen geöffnet werden müssen. Ich bin vielleicht kein besonders mutiger Mensch und wahrscheinlich viel zu wenig aktionistisch – aber ich bin sicherlich nicht dumm. Und aus diesem Grund weigere ich mich, mir von irgendwelchen Ministern menschenverachtenden Mist als die einzig mögliche Reaktion auf die Wirklichkeit der Welt verkaufen zu lassen.