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Twitter, es liegt an uns.

Weshalb es gerade kompliziert ist zwischen mir und den sozialen Netzwerken

Der sehr kurze Abriss ist: Ich war im Urlaub und habe gemerkt, dass ich, wenn es mir ziemlich gut geht, nicht den Impuls habe, Social Media zu nutzen. Außerdem habe ich gemerkt, dass ich, wenn ich es nutze, danach schlechter drauf bin als vorher. In diese Stimmung hinein habe ich die Doku „Das Dilemma mit den sozialen Netzwerken“ geschaut und meinen Konsum danach auch im Alltag stark eingeschränkt. Hier kommen die TOP VIER GRÜNDE, weshalb ich weniger online bin:

1) SUCHT, PSYCHE

Ich lese bei Twitter immer noch mit, bin jetzt hauptsächlich bei Instagram online, nutze mein Handy aber in der Summe zwei Stunden weniger als noch im August und komme damit immer noch auf eine Bildschirmzeit von ca. fünf Stunden. Das fällt mir so gar nicht auf, aber meine Güte: Das ist eine ziemliche Menge dafür, dass ich das Telefon meistens „so nebenbei“ nutze.

Die Doku könnt ihr euch selbst anschauen, wenn ihr das wollt. Ich fand sie super, habe aber auch kritische Stimmen gelesen. Datenschutz, Werbung, diesdas: Hatte ich alles schon zu häufig gehört, als dass das der entscheidende Impuls hätte sein können. Was ich eigentlich auch schon wusste, aber es ist dann doch nochmal etwas anderes, es so pointiert zu hören, ist, dass die Apps so konzipiert werden, dass sie immer mehr genutzt werden. Oder: Sie sollen süchtig machen. Einfachste Belohnungssysteme in unserm Hirn, die einige von uns auch nächtelang vor Spielautomaten antackern, springen an und lassen uns Twitter öffnen und öffnen und öffnen.

Ich lasse mich doch nicht verdammte zwei Jahre lang therapieren, um mich von einer App verarschen zu lassen. Ich will mich konzentrieren können, in Gesprächen nicht abgelenkt sein, nicht das Gefühl haben, Missstimmungen im echten Leben nicht durch Faves oder Selfies kompensieren. Mein Denken und mein Selbstwert sollen ohne App funktionieren und das ist leichter gesagt, als getan. Sobald ich schlechter Stimmung bin, ist der Impuls, per Selfie ein bisschen Spiegelwichsen zu betreiben besonders groß. Damit beschäftige ich mich genau null mit mir selbst und den Ursachen für mein trübes Gemüt, was exakt nichts wirklich oder langfristig verbessert.

2) DISKURSFÄHIGKEIT, HANDLUNGEN UND GEDANKEN

Der Aufenthalt in Bubbles ist sehr angenehm: Weitestgehend alle sind irgendwie auf einer Wellenlänge, man mag die gleichen Dinge, man lehnt ähnliche Dinge, meistens ist es irgendwie okay, denn wenn man sich mit Inhalten auseinandersetzt, die nicht die eigene Position widerspiegeln, dann regt man sich gemeinsam ein bisschen auf und dann geht es auch schon wieder.

Ich merke schon in Gesprächen mit meiner Mutter, die wirklich sehr konform ist mit meinen Perspektiven, dass ich nicht mehr ohne Emotion aushalten kann, wenn wir nicht einer Meinung sind. Neulich haben wir uns über die Schulsituation während Corona unterhalten und ich war innerhalb kürzester Zeit komplett wütend, obwohl die Unterschiede – im Nachhinein betrachtet – marginal waren. Ich bin die sachliche Auseinandersetzung mit legitimen, begründbaren, demokratischen Positionen, die nicht meine sind, nicht mehr gewohnt. Das geht zu Lasten meiner Kommunikationsfähigen, meiner Argumente und meiner Denkgeschwindigkeit.

3) SCREENSHOTS

Ich hasse Screenshots. Ich mute und tue, um Inhalte und Accounts zu vermeiden und dann kommt beides bei Screenshot. W A R U M. Dann heißt es: Darauf muss man aufmerksam machen! N E I N. Aus Linkstwitter läuft am Tag manchmal mehr braune Scheiße heraus als aus meinem Hund. Es ist, als würde man im Karstadt-Café zwei Leuten dabei zuhören, wie sie Bullshit miteinander reden und dann per Twitch fix die eigenen 4.000 Follower zuschalten und „Ohne Worte!“ in den Bildschirm tippen.

Ich kann verstehen, dass man sich darüber aufregt, emotional wird, Dampf ablassen muss. Aber es gibt so unfassbar viele Möglichkeiten, das zu tun, ohne dass diese Inhalte geteilt werden. Warum teile ich Sachen, die ich scheiße finde.

Wenn es um Aufmerksamkeit dafür geht, dass Menschen scheiße bauen, dann lenkt diese Mechanismen gerne konstant, konzentriert und rational auf Andi Scheuer. Der könnte Druck in der Öffentlichkeit tatsächlich gebrauchen. Alles andere pumpt rechte Nischenaccounts per Empörung easy von 200 auf 2000 Personen Reichweite und das kann irgendwie doch echt nicht gewollt sein.

4) SHAREPICS

Quotes, Clips und Zitate sind seltsames Nachrichtenmethadon. Man denkt, man ist informiert, hat hier und da eine Meinung – meistens die, die man vorher schon hatte – und so richtig in die Tiefe muss man nicht dringen, denn: Ach, morgen geht’s ohnehin schon wieder um etwas ganz anderes. So bin ich weder erzogen noch ausgebildet worden und dennoch informiere ich mich in genau dem Stil. Meine politischen Bilder basieren auf Schlagzeilen und Twitter-Teasern, weil meine Aufmerksamkeitsspanne auf 300 Zeichen geschrumpft ist. Das ist nicht gut und hat extrem wenig mit politischer Bildung zu tun. Es ist ein naiver Trugschluss zu glauben, dass die irgendwann abgeschlossen sei.


Ich weiß nicht, wie es mit uns weiter geht, Twitter. Es liegt an uns beiden: Ich habe meine Nutzung und ihre Effekte nicht so im Griff, wie es mir gut tut. Du färbst hässlich ab in mein echtes Leben, meine echten Beziehungen. Das tut mir nicht gut. Denn auch du bist das in vielen Punkten nicht: Gut. Ich vermisse Ehrlichkeit, die Mühe von Gedanken, Fehlertoleranz, Neugier gegenüber anderen Positionen. Mal gucken, wie es mit uns weitergeht.

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