Zwischen Fassaden und Asphalt ist sie nicht jung geblieben. Vor dem kleinen Laden um die Ecke lag eine Katze, die sich früher viel rumgetrieben hatte. Die gleichen Leute mit andren Fratzen stellten sich in Ketten auf und säumten, fein hintereinander aufgereiht, die Straße wie Bäume. Über Kronen hätten sie sich einmal sehr gefreut, doch nun reichte es, dass sie ihre Laiber hinter Laub verstecken konnten.
Die Nachbarn versuchten auch nach Jahren noch ihre Baustelle aufzuräumen und klopften Nägel im Dreivierteltakt in nass geregnete Holzplanken. Es goss immer weiter auf das weiche Holz und er klopfte und hörte nichts außer die Tropfen. Vielleicht hatte das Paar während ihrer Hochzeit nicht davon geträumt, dass sie gemeinsam zwischen Ziegelbergen versuchen würden, jahrelang ein Heim zu bauen. Eventuell waren sie aber glücklich, auch wenn das niemand verstand.
Sie hatte früher auf dem Boden ihres Zimmers gesessen und gedankenverloren Fäden aus dem Teppich gezogen. Hatte dort gesessen, gewohnt und gedacht: Eines Tages will ich scheinen, wenigstens für einen. Und gerade saß sie auf dem gleichen Platz und hörte die dumpfen Schläge durch die Wände schallen. Nun, sie schien nicht sonderlich interessiert an der Umgebung, war zu konzentriert auf die Zeitreise. Wie konnte es sein, dass rund herum die selbe Weise lebte, wie vor Jahren noch, sie nur durch ein Loch am Acker schlüpfen musste, und schon über die Tackernadeln ewiger Baustellen stolperte.
Nie war sie glücklicher gewesen als hier und Ahnungen dieses Glücks hingen an jedem Buchrücken und jedem Bild. Wie hübsche Souvenirs baumelten sie in den Raum hinein und würden noch lange Zeit, beschützt von einer liebevollen Nostalgie, ihren Platz nicht einbüßen müssen.
Sie schmunzelte, als sie sich an Gedanken erinnerte. Wenn sie hier war und ihr Blick schweifte, fiel ihr ein, dass sie sich viel zu begreifen vorgenommen hatte, als sie hier gesessen und über ihr junges und das weitere Leben nachgedacht hatte. Von dem Plan, den sie damals entworfen hatte, war immer noch viel übrig. Nur hatte sie sich als Kind nicht gedacht, als Erwachsene so zu sein, wie sie geworden war.
Ob sie wohl so schön geworden war, wie sie es vorgehabt hatte? Damals hatte es gereicht, wenn Farbe über ihre Lippen schwappte, damit sie sich für bezaubernd hielt. Sie schmunzelte bedauernd, denn das war schwieriger geworden.
Schön, dass es einen Ort gibt, dachte sie, auf dieser Welt, an dem ich mich das nicht fragen muss. An dem ich mich gut fühle, obwohl ich keinen besonderen Gedanken führe. An dem es kein Wagnis ist, Ansprüche fallen zu lassen und an dem ich mir ein Bild von mir machen kann, ohne dass jemand anders mir die Pinsel reicht.
Den Weg entlang, am Acker vorbei zurück in die Echtzeit standen Damen und Herren im Trenchcoat. Der alte Kater strich, sein stumpfes Fell an ihre Beine geschmiegt, lautlos zwischen ihren Stelzen hindurch. An einem gleichgültigen Zucken der Ohren kann sie erkennen, dass er sie bemerkt. Aber er wird sich so oder so wieder vor den kleinen Laden legen, ob sie nun zu Besuch war, oder nicht.
Sie würde den Ort nicht vermissen, solange sie weg war, aber sich immer darüber freuen, zurück zu kommen. Und sie schätzte es, dass ihr niemand übel nahm, dass sie kein Heimweh hatte, sondern sich alle darüber freuten, dass es ihr gut ging.