Der Geburtstag als die Erinnerung an einen Anfang, der dauert, bis er endet.
Alles scheint mir so schnell zu sein, dabei hat sich nichts bewegt: Ich sitze in derselben Küche wie vor einem Jahr, ich habe die gleichen Jobs, ich studiere das gleiche Fach. Ich verstehe die Zeit nicht: Wie ist dieses letzte Jahr passiert und wann?
Ich habe in einigen Tagen Geburtstag und der Zeit davor haftet wie eh und je eine eigenartige Melancholie an, die, wenn ich diese großen Worte benutzen darf, irgendwas mit Werden und Vergehen zu tun hat. Ich kann mich dem Drang nach Bilanzen nicht entziehen, weiß aber einfach nicht, ob sie positiv oder negativ ausfallen. Weil ich sie nicht ziehen kann, weil nichts vorbei ist, sondern alles einfach immer weitergeht.
Ich fühle mich heute seltsam allein auf dieser Welt, weil ich nicht aufhören kann, mich über die Dinge zu wundern, die alle anderen so furchtbar gewohnt zu sein scheinen. Ich ahne inzwischen, dass das nicht stimmt, weil ich irgendwann aufgehört habe, mich für diesen Eindruck zu schämen und begonnen habe, ihn mit anderen zu teilen. Zum Beispiel mit meinem Vater, der mir den erfahrungsgetränkten Rat gab, mich von der Hoffnung zu verabschieden, irgendwann auf dieses „Erwachsen“-Gefühl zu stoßen.
Ich will nicht passiv sein, kein Opfer der Umstände. Ich will nicht fragen, woher meine Verletzungen kommen, sondern ehrlich zugeben können, welche ich beigefügt habe, mir und anderen. Es ist ein schmaler Grat: Ich will begreifen, dass und wie ich auf andere wirke, ohne dem Trugschluss zu erliegen, Personen verändern zu können. Auf nichts außer auf mich selbst habe ich Zugriff. Ich kann, werde und möchte niemanden verändern, sondern Menschen finden, mit denen ich kompatibel bin, ohne dass Anpassungen geschehen müssen, die Neigungen entgegenstreben. Ich weiß nicht, ob ich mutig genug bin für diese Ideale und Wünsche, die ich erst im Laufe der letzten Monate gelernt habe freizulegen. Ihre Artikulation wirkt wild auf mich und ist behaftet mit Angst, denn ich muss ohne rollenfeste Rettungswesten wie die „Emanzipierte Frau“, die „Gewissenhafte Angestellte“, die „Empathische Freundin“ schwimmen lernen, um herauszufinden, was ich – nicht die Bilder, denen ich meine entsprechen zu wollen – möchte. In jeder Situation neu: Was möchte ich, jetzt?
Dieser Tag ist die Erinnerung an einen Anfang, der dauert, bis er endet. Ich habe einen Vorgeschmack bekommen in diesen ersten 29 Jahren, was da an Schönem und Schrecklichem noch auf mich wartet. Vor beidem fürchte ich mich, aber ich weiß, dass ich das nicht alleine tue und das macht mir ein gutes Gefühl.